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(aus Hans-W.Hunziker, Eisbären weinen nicht, Transmedia Verlag, Stäubli AG Zürich)
Auftritt an der Kabinentür. Langhaarig-blonde Amerikanerin mit
indonesischem Boyfriend: verspätete Fluggäste. Setzten sich auf die
verbleibenden Plätze meiner Sitzreihe, unterhielten sich laut. Weghören
zwecklos.
Langsam zur Nase, dann in den Kopf steigend: aufdringliches Parfum der
jungen Dame. Sinnenbetäubende Mischung aus Rosenessenz und
Moschusextrakt. Äußere Erscheinung passend zur Duftnote: hautenge
Bermudas, tiefausgeschnittene, vor Weiblichkeit überquellende Bluse.
Modeschmuck: Lederband mit vergoldeter Pistolenkugel. Nein, sowas:
Entwicklungshelferin vom Titelblatt des »Playboy«!
Ich erwog: Jugendliche Zurschaustellung? Kopie eines Filmidols? Das
»Ich« als Nabel der Welt? Oder einfach Gedankenlosigkeit einer
Drittwelttouristin?
Eine Reihe vor mir: mein Zwillingsbruder im Gespräch mit seinem
Sitznachbarn. Kleincomputer im Taschenformat. Neues Modell mit
eingebautem Flachbildschirm und faszinierenden Möglichkeiten.
War das für meine Arbeiten über »Künstliche Intelligenz« von Bedeutung?
Ich kiebitzte über die Sitzreihe, erwog Sitztausch mit Sexynachbarin:
Lieber Computer als Weiber, da leichter erlernbar. Fachsimpelei ist
Klatsch der Männer.
Wollte sie meine Absicht durchkreuzen? Meine Aufmerksamkeit für sich beanspruchen? Wenn ja, warum? Und wenn nein, warum nicht?
Sie drehte sich langsam nach mir um zwang mich, die ursprüngliche
Bedeutung des Wortes »atemberaubend« zu erleben. Wer im Glashaus sitzt,
schnappt nach Luft.
Schnapp. Männer in Glashäusern sind wehrlos.
"Hi, I'm Jane", hauchte sie, strich mit ihrem Blick über meine angegrauten Schläfenhaare.
"Hi", echote ich. "I'm Francesco."
Sie gönnte mir einen Augenaufschlag, als hätte ich gesagt »Belmondo«.
"Italian?"
"Swiss."
Sie zeigte keine Enttäuschung, hielt mir stattdessen ihr duftendes Handgelenk unter die Nase.
"Swatch!"
Rosarote Plastik-Armbanduhr. Zifferblatt: Mädchen im Kampfanzug.
Stundenzeiger als Lauf einer Maschinenpistole, der jetzt um halb sechs
friedlich nach unten hing. Knallgrüne Inschrift: Two revolutions per
day! Zwei Umdrehungen oder zwei Revolutionen?
"Kitsch!" sagte ich.
"Swatch!" antwortete sie. "Swiss made."
Dann im Gespräch: Überraschung, daß Jane Anzeichen akademischer Bildung
zeigte. Hatte sie wirklich an der Berkeley Universität Archäologie
studiert? Schrieb sie tatsächlich an einer Arbeit über hinduistische
und buddhistische Bauten? Befaßte sie sich mit der Vermessung
verfallener Tempel, durchsuchte sie diese nach Überresten älterer
Bauwerke: wissenschaftliche Rätsel?
Reisebeginn: metallisches Brausen der Turbinen in Startposition.
Aufheulen mit blockierten Rädern. Dann üblicher Druck im Rücken, in der
Magengegend, in den Ohren. Landschaft schräg nach vorn kippend.
Steigflug vom Flugsteig.
Später: flüchtiger Blick durchs Kabinenfenster.Javanischer Vulkan mit
milchiggrünem Kratersee. Kahle, schlackige Berghänge über dem
dampfenden Grün tropischer Blattfülle. Wogende Hügelketten unter
aufgeballten Wolkentürmen. Weitab glitzernd wie die Schuppen einer
schlafenden Riesenechse die verwinkelten Dächer der Hafenstadt Surabaja.
Jane belehrte mich ihren Begleiter vergessend über die Unterschiede
zwischen buddhistischen und hinduistischen Darstellungen des
Geschlechtsaktes. Ich wollte ihre provokative Offenherzigkeit
unterlaufen, nannte ihr als Gegenleistung passende Bezeichnungen in
verschiedenen Sprachen unter Angabe der wörtlichen englischen
Uebersetzung.
Sie fand lauthals Gefallen am deutschen Begriff »vögeln«, den ich mit »making birdie-birdie« übersetzte.
Trotz unseres Gesprächs fiel mir auf: Der junge Mann in der vorderen
Sitzreihe, mit dem sich Z. so angelegentlich unterhielt, schloß an der
Bordbeleuchtung ein Verbindungskabel seines Computers an.
Z. wandte sich zu uns und erklärte, der Junge habe einen ganz
fantastischen Computer, ein neues koreanisches Modell, das alles
Bisherige in den Schatten stelle. Leider seien die Batterien etwas
schwach, weshalb er jetzt die Speisespannung der Bordbeleuchtung
entnehme.
Ich wollte etwas einwenden, wurde aber von Jane beansprucht. Was sie
über die Linguistik wissen wollte, habe ich vergessen. Dafür bin ich
jederzeit in der Lage, eine Beschreibung dieses Mädchens zu liefern.
Sie sah aus, als käme sie aus einem Illustrierten-Roman: verjüngte
Kombination aus Brigitte Bardot, Jane Fonda und Klaus Kinski.
Fanatischer Schmollmund mit missionarisch-kindlichen Eiferfältchen.
Betäubende Schlafzimmer-Frühstücksmischung mit prickelndem
Pulsbeschleuniger.
»Z. würde unser Gespräch vermutlich als unterschwelligen
Annäherungsversuch oder infantile Ersatzhandlung einstufen«, dachte
ich.
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